Das Sommerferiengroßstadtspektakel

Es zeugt von Mut, dieses Buch dramatisieren zu wollen. "Beschützer der Diebe" ist der erste in Berlin spielende Roman (von1994) des begnadeten Jugendbuchautors Andreas Steinhöfel. Er erzählt die spannende und komplizierte Geschichte von drei Teenagern, die den Plan zu einem Diebstahl im Pergamon-Museum entdecken und dann den Fall selbst lösen. Franziska Ritter hat die 280-Seiten- Vorlage nicht nur zusammengestrichen, sondern so konsequent auf eine Linie gebracht, dass sie sich nach der Premiere am Donnerstag im Theater an der Parkaue vor einem begeisterten Publikum verbeugte. Franziska Ritter führte auch Regie und hat die Hauptrollen glücklich besetzt. Die forsche Dagmar, nach eigenem Wunsch Dags genannt, was deren Mutter an ein marderartiges Tier denken lässt, wird von Katrin Heinrich hyperaktiv gespielt. Gudrun, genannt Guddie, vor einem halben Jahr nach Berlin gezogen, versucht sich von ihrer Rolle als Hühnchen vom Lande zu lösen, und schwankt doch in der Verkörperung durch Franziska Krol sichtbar zwischen den beiden Welten. Niels Heuser gibt den Olaf als witzigen, aber oft auch nervösen Jungen, der sich seiner selbst nicht sicher ist, wenn er Brieftaschen oder Geldscheine klaut - und sich sehr zu Guddie hingezogen fühlt. Die Mädchen sind Cousinen, kennen sich aber kaum. Olaf stößt zufällig zu ihnen. Als sie in den Sommerferien aus Langeweile anfangen, x-beliebige Leute zu beobachten, wird Guddie Zeugin einer Entführung und findet einen geheimnisvollen Zettel. Weil die Jugendlichen glauben, dass die Polizei sie nicht ernst nimmt, und weil sie zu Hause in ihren überarbeiteten Eltern keine Partner sehen, werden sie zu einem Team, das unbedingt das Rätsel lösen will. Großstadtatmosphäre, Tempostrecken und Erklärstücke, die im Roman viele Sätze beanspruchen, zaubert Franziska Ritter auf drei Videoleinwände. Manchmal setzt sich die Bühnenhandlung im Film fort, manchmal überlagern sich bewegte Bilder und Live-Darstellung. Lebhaft geht es in dem Stück auch zu, weil der Zuschauerraum mit bespielt wird, immer wieder kreuzen die Akteure zwischen den Zuschauersitzen auf. Mit diesen Mitteln wird ein Publikum eingefangen, das es gewohnt ist, sich mit immer neuen Reizen abzulenken. Hinzu kommt, dass dieses Stück auch mit der Sprache verführt. Die Dialoge sind knapp und klar. Die drei jungen Helden reden untereinander anders als mit Erwachsenen und die Erwachsenen unterscheiden sich deutlich in ihrem Verhalten den Jugendlichen gegenüber. Da hört man also Revolte und Witz, Annäherung, Arroganz und Partnerschaftlichkeit. Und am Ende empfängt Klaus Wowereit die Retter vom Pergamonmuseum. Gönnerhaft lobt die Tagesschau "die kleinen Helden von Berlin". Die Zuschauer spüren, dass dies ein ironischer Kommentar ist. Steinhöfel und Ritter nehmen das Publikum ernst.

Berliner Zeitung, 05.07.2010
Cornelia Geissler


Emils neue Kusinen

DIE NEUEN DETEKTIVE Mit "Beschützer der Diebe" bringt das Theater an der Parkaue einen Berlinkrimi für Kinder auf die Bühne. Das jugendliche Premierenpublikum ist voll bei der Sache und kommentiert munter die Handlung. Berliner Kinder haben's gut, denn in einer Stadt wie dieser muss Langeweile nicht sein. Wer es zu Hause öde findet, kann einfach vor die Tür gehen, wo das Leben voller Überraschungen und Abenteuer ist. Gesetzt den Fall, man sucht sie.
Genau das tun Dags, Guddi und Olaf in Andreas Steinhöfels Buch "Beschützer der Diebe", das Franziska Ritter jetzt in einer von ihr selbst eingerichteten szenischen Version im Theater an der Parkaue für ein junges (auch: junggebliebenes) Publikum auf die Bühne gebracht hat. Die drei Kinder erfinden ein Spiel: Jedes sucht sich auf dem Ku'damm irgendeine fremde Person aus und muss dieser folgen, um möglichst viel über sie herauszubekommen. Daraus wird schnell Ernst, als ausgerechnet Guddi, die gerade erst aus dem beschaulichen Butzbach in die Hauptstadt gezogen ist, Zeugin wird, wie der von ihr Beschattete entführt wird. Zum Glück lässt der Mann, bevor er in ein bereitstehendes Auto gezwungen wird, noch einen Zettel fallen ("Für mich!" ist Guddi überzeugt), auf dem die Buchstaben K, E, M samt einer Zahlenkombination und drei auf dem Kopf stehenden Dreiecken notiert sind. Der Gedanke, zur Polizei zu gehen, kommt den dreien nicht; sie machen sich selbst an die Detektivarbeit. Die führt sie ins Kempinski, in den Französischen Dom und ins Pergamon- Museum, wo es zum dramatischen Showdown kommen wird. Das jugendliche Premierenpublikum, das im Alter zwischen elf und sechzehn changiert, ist voll bei der Sache. Wer jemals gedacht hat, die Jugend sei durch übermäßigen Mediengebrauch oberabgeklärt und abgestumpft, könnte sich hier davon überzeugen, dass das alte Kasperletheaterprinzip auch bei den Kids von heute noch zuverlässig funktioniert. Da wird munter die Handlung kommentiert ("Boah, die hat ein Handy!" oder "Iih, die sind ja schwul!"-Kommentare verraten so manches über den Wertekanon des Nachwuchses); als die Hauptdarstellerinnen Wackelpudding essen, werden sehnsüchtige "Ich will auch einen!"-Rufe laut; und als der Schauspieler Lutz Dechant in der Rolle des korrupten Kultursenators Röhricher ein Schiff auf den Namen Brigitte tauft und dazu eine Rede hält, spielt das Theaterpublikum entzückt die Rolle des Schiffstaufenpublikums und applaudiert enthusiastisch in jeder Kunstpause, die der Redner einlegt.Die Jugend fühlt sich offensichtlich gut abgeholt. Und auch als erwachsene Zuschauerin kann man Franziska Ritters dramatischer Verdichtung von Steinhöfels Romanvorlage viel abgewinnen. Durch den wohlüberlegten Einsatz eines oft missbrauchten technischen Verfahrens gewinnt die Inszenierung enorm an Spannung und Tempo: Videoprojektionen ergänzen das Geschehen auf der Bühne. Da es sich hier um Kindertheater handelt, wird damit jedoch keine zusätzliche Sinn- oder Unsinnsebene transportiert, sondern ein Teil der Handlung. Diese kann damit zugleich auf der Bühne wie im Video stattfinden, wodurch sich oft eine Art Split-Screen-Effekt einstellt. So können Guddi und Olaf live über Skype mit ansehen, wie die toughe Dags in das Hotelzimmer des Oberschurken eindringt und dabei mit dem Handy filmt. Als Guddi von einem Unterschurken bis in den Turm des Französischen Doms hinauf verfolgt wird, hastet sie im Video von weitem eine Wendeltreppe hinauf, während sie gleichzeitig auf der Bühne von vorn zu sehen ist, im selben Rhythmus laufend und keuchend wie im Film. Der cinephile Olaf lässt es sich denn auch nicht nehmen zu kommentieren: "Das war ja wie bei Hitchcock!" - Sehr oft zeigt das Video auch einfach Ort und Tageszeit an, ist also Teil des Bühnenbilds (Angelika Wedde), das ansonsten lediglich aus ein paar schlichten, multifunktionalen offenen Metallquadern besteht, die sich in jeden beliebigen Raum verwandeln können. Die drei HauptdarstellerInnen Katrin Heinrich, Niels Heuser und Franziska Krol werden am Schluss begeistert gefeiert, was zeigt, dass sie offenbar auch in den Augen des Zielpublikums sehr überzeugende Jugendliche abgegeben haben. Ein paar Extrajuchzer heimst sehr zu Recht Angelika Böttiger ein, die in verschiedenen Nebenrollen gezeigt hat, was komödiantische Klasse alter Schule ist. Nur der arme Andrej von Sallwitz, der im Stück den Oberschurken geben musste, wird entrüstet ausgebuht. Das ist natürlich nichts Persönliches. So läuft es halt im Kasperletheater.

TAZ
Katharina Granzin