Die Orgel von Jochens Oma oder: Wer ist Alfred?
Spiel mal wieder! Das könnte der Zuruf der Kammerspiele an die Eltern, Großeltern, Onkel, Tanten sein, so richtig auf gute alte Art sich den Kleinen und dem Spiel hinzugeben: zu träumen, zu
phantasieren, sich zu necken, Quatsch zu machen, herumzukullern, zu lachen, zu weinen, balgen, tanzen, blödeln, sich auszukitzeln, zu schaukeln und, und, und. Ganz ohne Videostütze,
Ratgeberreihen, einfach so, sich den Kindern hingeben, sie gewinnen, mit ihnen eins sein, solange das so geht, solange es für aktives Gewinnen nicht zu spät ist. Daß das geht, zeigt die Oma, eine
Pfundsrolle für Gerda Haase — in der neuesten Kammerspiel-Kindertheaterproduktion mit dem geheimnisvollen Titel. Sie spielt mit Enkel Jochen — kein anderer wäre für diese Aufgabe besser geeignet
als Sven Seeburg, die ulkigsten Alltagssituationen durch, spielt ihm den Schulhorror weg, schwebt im Reich von Robinson, fliegt mit ihm nach Australien, beerdigt mit ihm eine Mohrrübe und kommt
im Spiel auch mit ihm übers Sterben ins Gespräch. Das Ganze ist — das Theater verzeihe den Ausdruck —herzallerliebst gemacht, natürlich auch künstlerisch wertvoll. Aber diese Elle sollte hier in
der Rezensentenlade bleiben, weil sie nicht die Schönheit, den artifiziellen Reiz dieses Spielnachmittags (zukünftig -Vormittags) bemessen kann. Gespielt wird mit allem, was sich bietet: Die
Bettdecke wird zur Ozeanwelle, zum Einwickeltuch; das Bett zum schaukelnden Schiff, zur Bahre der toten Mohrrübe; die Schultasche zur Wasserkanne, wenn Oma auf die Bretter geht und Erfrischung
braucht. Blitz und Donner, Windgeheul, Rauch und Nebel sind im Einsatz. Schön und aufwendig, die Bühnenbildlösung von Toto, den Zuschauerraum mit Gittern zu überbauen, Wind und Lichttechnik
darunter zu installieren und tolle Illusionen zu erzeugen. Fein auch die Idee des Hereinkriechens der Zuschauer durch eine lange Röhre (Vorsicht! Ratten!), des Erklimmens des Zuschaupodestes über
eine Tonleiter, das Schaffen einer (leider wenig genutzten) zweiten Spiellandschaft im Rücken der Zuschauer, die holprigen Kindermusikeinlagen, so hingeklimpert, laut und falsch, eine schöne
Tonkulisse. Franziska Ritter hat das spielanregende Spiel mit den besagten Darstellern inszeniert, erspielt und immer schön die Spannung weiter gesteigert, wer denn nun Omas Alfred ist. Der
entpuppt sich letztlich als karierter Elefant. Da hält's die Kinder nicht mehr auf den Sitzen. Das war was zum Anfassen und Mitspielen, da kamen sie schnell über den Tod der Oma weg. Vielleicht
bedarf diese theatralische "Umkippe" doch noch der dramaturgischen Feile.
Magdeburger Volksstimme
Dr. Hermann Berger